PAUL NASCHY
VON MONDEN UND MONSTREN
In der Geschichte des fantastischen Kinos ist wohl kaum eine weitere Person zu finden, die ein solch umfassendes und derart bedeutendes Oeuvre vorweisen kann wie der Spanier Paul Naschy. Seine Karriere im Filmgeschäft umspannt mehr als 40 Jahre, in denen er als Darsteller, aber auch Drehbuchautor, Regisseur und Produzent, alle Höhen und Tiefen der Branche erlebte. Viele seiner Werke sind mit den Zutaten "moderner" Genre-Beiträge gewürzt, wirken jedoch gleichzeitig im besten Sinn altmodisch-naiv.
Paul Naschy wurde am 06. September 1934 unter seinem bürgerlichen Namen Jacinto Molina als Sohn eines Fell- und Lederwarenhändlers in Madrid geboren. Die Familie Molina pflegte den Umgang mit Künstlern und Schriftstellern, was den jungen Jacinto positiv beeinflusste sowie auch einen notwendigen Kontrast zum unruhigen Spanien nach Ende des Bürgerkriegs lieferte. Schon früh nahm die Mutter ihren Sprössling mit in die Lichtspielhäuser, wo dieser schnell Geschmack an den klassischen REPUBLIC-Serials fand und Filmhelden wie Captain Marvel oder Zorro bewunderte.
Die Recken im Kampf für die Gerechtigkeit wurden abgelöst, als es dem elfjährigen Jacinto gelang, einer Vorstellung des UNIVERSAL-Films FRANKENSTEIN MEETS THE WOLFMAN (USA 1943; Regie: Roy William Neill) beizuwohnen. Von nun an bewunderte er den unglückliche Werwolf Larry Talbott, verkörpert von Lon Chaney Jr. Mit den Jahren wuchs die Begeisterung für das Kino und sein Onkel weckte ihn ihm auch das Interesse an der Literatur fernab klassischer Jugendstoffe eines Mark Twain oder Jules Verne.
Den Wünschen seiner Familie folgend wählte Jacinto nach der Schule eine "seriöse" Ausbildung. Er studierte zunächst Agrikultur, ehe er zur Architektur wechselte und dafür eine Schule in Barcelona besuchte. Zudem arbeitete Jacinto stetig an seinen Zeichenkünsten, was ihm kleinere Cover-Aufträge für die Schallplatten-Firmen COLUMBIA und DECCA einbrachte. Selbst als Comiczeichner wurde er aktiv und erfand die Westernfigur SNAKE-BLACK. Unter dem Pseudonym Jack Mills schrieb er dann auch einige Western-Paperback-Romane.
Jacintos wahre Leidenschaft gehörte aber seit seiner frühen Jugend dem Sport. So stieg er in den Boxring, den er einmal dermaßen lädiert verließ, dass die Eltern seiner Boxkarriere ein jähes Ende setzten. Nachdem ein gebrochener Knöchel auf dem Fußballplatz ebenfalls eine äußerst unangenehme Erfahrung war, entschied sich der begeisterte Sportsmann für die Disziplin des Gewichthebens.
Das langjährige Training führte 1958 zum Gewinn der spanischen Meisterschaft im Leichtgewicht und vielen weiteren Erfolgen, so dass die Teilnahme bei den Olympischen Spielen 1964 ins Auge gefasst werden konnte. Unglückliche Umstände in Form einer vermuteten Intrige verhinderten leider Jacintos Vorstellung auf der Weltbühne des Sports. Enttäuscht kehrte er nach 14 erfolgreichen Jahren dem Gewichtheben den Rücken.
Bei all den sportlichen Betätigungen verlor jedoch Jacinto seine zweite große Leidenschaft, das Kino, nie aus den Augen. Bereits 1960 konnte er ins Filmbusiness hineinschnuppern, übernahm er doch gleich mehrere kleine Statistenrollen in Nicholas Rays knapp dreistündigen Bibel-Monumentalwerk KING OF KINGS (aka KÖNIG DER KÖNIGE; USA 1960). Noch im gleichen Jahr verkörperte Jacinto in Luis Lucias Zelluloid-Abenteuer EL PRINCIPE ENCANADO (aka THE ENCHANTED PRINCE einen mongolischen Anführer. Es folgten weitere Filme, bei denen er teilweise auch als Produktions- und Regie-Assistent sowie Location Scout tätig war, ehe er 1967 unter dem Pseudonym "David Molina/Molva" in AGONIZANDO EN EL CRIMEN (aka AGONIZING IN CRIME; Regie: Enrique López Eguiluz) seine erste Hauptrolle bekam. In besagtem Krimi spielte er einen jungen französischen Inspektor.
Nach zwei weiteren Filmen, bei denen Jacinto ausschließlich als Regie-Assistent fungierte, schlug dann 1968 die Geburtsstunde von Paul Naschy. Schon 1967 hatte er unter seinem bürgerlichen Namen ein Drehbuch verfasst, welches sich mit der von ihm so geliebten Figur des Werwolfs befasste. Dieses zu verkaufen stellte sich jedoch als äußerst schwierig heraus. Niemand in Spanien schien sich für die Produktion von Horrorfilmen zu interessieren und man war sich generell sehr unsicher, ob ein derartiger Stoff dem Publikumsgeschmack entsprechen würde.
Trotzdem ließ Jacinto nicht locker und fand schließlich doch noch Geldgeber (Emilio Foriscot) und Regisseur (Enrique López Eguiluz), um endlich seine Version des vollmondgetriebenen Lycanthropen zu verwirklichen: LA MARCA DEL HOMBRE LOBO (aka DIE VAMPIRE DES DR. DRACULA). In Ermangelung eines Hauptdarstellers viel die Wahl dann mehr zufällig auf den Drehbuchautor, der darüber allerdings nicht sehr glücklich war. Aber es gab kein Zurück mehr und so fand sich Jacinto bald in der Rolle des unglücklichen Wolfsmenschen Waldemar Daninsky wieder. Um den Film auch international vermarkten zu können, wurde ihm dann mitgeteilt, er solle sich einen wohlklingenden Künstlernamen einfallen lassen. Das Ergebnis ist Legende: Paul Naschy.
"Naschy" ist dabei die Abwandlung des Namens eines Gewichthebers, den Jacinto seinerzeit sehr bewunderte. Von nun an arbeitete er als Schauspieler einzig unter seinem neuen Pseudonym (das auch wir ab jetzt verwenden wollen). LA MARCA DEL HOMBRE LOBO entwickelte sich nicht nur in Spanien, sondern auch international zum Kassenschlager. Noch im gleichen Jahr folgte - nach einem Ausflug in den Abenteuerfilm (LA ESCLAVA DEL PARADISO / SHARAZ aka THE SLAVE OF PARADISE; Spanien, Italien 1968; Regie: José María Elorrieta) - der zweite Leinwand-Auftritt von Waldemar Daninsky, LAS NOCHES DEL HOMBRE LOBO (aka THE NIGHTS OF THE WOLF MAN; Spanien, Frankreich; Regie: René Govar), sowie 1969 die Fortsetzung der Daninsky-Reihe mit LOS MONSTRUOS DEL TERROR / DRACULA JAGT FRANKENSTEIN (BRD, Spanien, Italien; Regie: Hugo Fregonese & Tulio Demichelli).
Der Name Paul Naschy wurde besonders in den 70er-Jahren, in denen seine großen internationalen Hits LA NOCHE DE WALPURGIS / NACHT DER VAMPIRE (BRD, Spanien 1970; Regie: León Klimovsky), DR. JEKYLL Y EL HOMBRE LOBO (aka DIE NACHT DER BLUTIGEN WÖLFE; Spanien 1971; Regie: León Klimovsky), El ESPANTO SURGE DE LA TUMBA (aka BLUTMESSE FÜR DEN TEUFEL / BLUTMESSE DER ZOMBIES; Spanien 1972; Regie: Carlos Aured) und EL JOROBARDO DE LA MORGUE (aka DIE STUNDE DER GRAUSAMEN LEICHEN; Spanien 1972; Regie: Javier Aguirre) entstanden, zum Markenzeichen des spanischen Horrorkinos.
Bis in die 80er-Jahre drehte Paul Naschy unzählige Genre-Beiträge und verkörperte neben dem Wolfsmenschen so ziemlich jede unheimliche Gestalt, die aus den klassischen Horror-Filmen der amerikanischen UNIVERSAL STUDIOS bekannt ist. Als Dracula, Mumie, Buckliger und Frankensteins Monster sorgte er für wohligen Leinwand-Grusel, was ihm auch den Titel "Lon Chaney Spaniens" einbrachte.
1976 erfüllte sich Paul Naschy dann einen weiteren Traum und führte bei INQUISICION (aka INQUISITION; Spanien) erstmals selbst Regie (als Jacinto Molina). Der Film basiert - nach eigenen Angaben - auf wahren Begebenheiten und schildert die Hexenprozesse im mittelalterlichen Frankreich. INQUISICION ist nur eines von vielen Werken, in denen Naschy neben der Tätigkeit als Drehbuchautor und Darsteller auch die Spielleitung übernahm. Besonders ans Herz gewachsen ist ihm seine 1980 entstandene Regie-Arbeit RETORNO DEL HOMBRE LOBO (aka THE WERWOLF [sic!]; Spanien), das neunte Waldemar-Daninsky-Abenteuer. Insgesamt trug Naschy bis dato 12 Mal das Wolfsfell, davon 11 Mal in der berühmten Daninsky-Rolle. 1996 entstand mit LYCANTROPO (aka LYCANTROPUS; Spanien) der vorerst letzte Film dieser Reihe, welcher die Geschichte eines alternden Werwolfs erzählt, der nicht sicher ist, ob er selbst einige grausame Morde verübt hat oder ob sich ein wahnsinniger Serienmörder dafür verantwortlich zeichnet.
Neben den Horrorfilmen wirkte Naschy auch in einigen Action-Thrillern, Psycho-Dramen und Krimis mit, von denen u. a. der sehenswerte Quasi-Giallo UNA LIBELULA PARA CADA MUERTO (aka TODESKREIS LIBELLE; Spanien 1973; Regie: León Klimovsky) eine besondere Erwähnung verdient.
Eine eher unbekanntere Seite Paul Naschys stellen seine Arbeiten auf dem Gebiet des Dokumentarfilms dar. So produzierte er für das japanische Fernsehen einen zweiteiligen Film über das Prado Museum, welcher 1980 vom Kultusministerium Japans als "Beste Dokumentation des Jahres" ausgezeichnet wurde. Es folgten PREHISTORY IN CANTABRIA, THE CAVES OF ALTAMIRA, THE JUYO MASK und HELL IN CAMBODIA und weitere Doku-Dramen, die allesamt für das japanische TV entstanden. Außerdem arbeitete Naschy während seiner Zeit in Japan an einer Fernseh-Serie und inszenierte verschiedene Spielfilme, darunter auch das Waldemar-Daninsky-Werk LA BESTIA Y LA ESPADA MAGICA (aka THE BEAST AND THE MAGIC SWORD; Japan 1983) - übrigens ein echter Exot, verbindet der Film doch die im mittelalterlich Japan angesiedelte Werwolfgeschichte mit landesüblichen Geister-Erscheinungen.
Ausgelöst durch den Tod des Vaters, hatte Paul Naschy ab Mitte der 80er-Jahre mit schweren Depressionen zu kämpfen. Er drehte in dieser für ihn so problematischen Phase nur einige mäßig erfolgreiche Filme, seine Leinwand-Karriere stagnierte. Erst ein überstandenen Herzanfall im Jahre 1991 ließ ihn wieder neuen Mut schöpfen. Mit all seiner Kraft gelang ihm die Rückkehr ins Movie-Business. 2001 war er in dem spanischen Teeny-Reißer SCHOOL KILLER (Regie: Carlos Gil) der unheimliche Ehrengast und Gerüchten zufolge ist auch das Drehbuch zu einem neuen Waldemar-Daninsky-Abenteuer in Arbeit.
Paul Naschy hat für sein engagiertes filmisches Schaffen mittlerweile zahlreiche internationale Auszeichnungen erhalten. Im Jahre 2000 wählten ihn Genre-Fans aus aller Welt in die berühmte "Hall of Fame" des größten amerikanischen Horror-Magazins FANGORIA. In seinem Heimatland wurde Naschy eine ganz besondere Ehre zuteil: Der spanische König überreicht ihm 2001 die "Goldmedaille der schönen Künste", Spaniens höchste kulturelle Auszeichnung. Zudem belegen die sich häufenden DVD-Veröffentlichungen von Naschy-Filmen eindrucksvoll, dass die Arbeit des spanischen Multitalents verdientermaßen auch im neuen Jahrtausend Bestand hat.
Paul Naschy gilt unbestritten als einer der ambitioniertesten Kreativen im europäischen Exploitation-Kino. In über 70 Filmproduktionen konnte er bisher sein immenses Talent unter Beweis stellen. Ohne sein unerschütterliches Engagement wäre der fantastische Film in Spanien niemals in Gang gekommen.
Grund genug also, Paul Naschy endlich auch hierzulande gebührend zu würdigen und dem außergewöhnlichen Zelluloid-Künstler ein spektakuläres Event zu widmen. DER GEHEIMNISVOLLE FILMCLUB BUIO OMEGA ist stolz darauf, ein solches unter dem Titel PAUL NASCHY LIVE! am 19.10.2002 veranstaltet zu haben.
In einem karriereumspannenden Interview, geführt von unserem geschätzten Filmgelehrten Christian Keßler M. A., plauderte Paul Naschy aus dem Nähkästchen, beantwortete die Fragen des Publikums, unterzeichnete anschließend unzählige Devotionalien in einer Autogrammstunde und präsentierte natürlich auch seine beiden bedeutenden Film-Hits DIE VAMPIRE DES DR. DRACULA und DIE STUNDE DER GRAUSAMEN LEICHEN. Für seine Verdienste im Exploitation-Kino wurde Paul mit dem "Joe", dem begehrten Preis des GEHEIMNISVOLLEn FILMCLUBs BUIO OMEGA, feierlich ausgezeichnet. Tags zuvor begrüßte Stadtrat Dr. Manfred Beck, Vorstand für Kultur, Bildung, Jugend und Sport der Stadt Gelsenkirchen, Paul Naschy offiziell in Gelsenkirchen.
Das Club-Komitee blickt auf ein denkwürdiges Event sowie fünf unvergessliche Tage mit der einzigartigen Persönlichkeit Paul Naschy und seiner charmanten Familie zurück. Die Naschys haben spielend einen festen Platz in unseren Herzen erobert. Dies trifft sicherlich auch auf die knapp 200 Besucher (absoluter Club-Rekord!) zu, welche der Star-Veranstaltung beiwohnten.
Wir möchten uns an dieser Stelle herzlich bei allen helfenden Kräften bedanken, die uns durch ihr wertvolles und unverzichtbares Engagement unterstützt haben. Ein großes Dankeschön geht ebenso an alle Mitglieder, denn ohne deren Beistand wäre das nichtkommerzielle Fan-Projekt DER GEHEIMNISVOLLE FILMCLUB BUIO OMEGA niemals möglich. Bekanntlich dienen ja die zu leistenden Club-Beiträge ausschließlich der Finanzierung der Club-Aktivitäten. Das Komitee selbst arbeitet ehrenamtlich. Ziel des Clubs ist es, mit Hilfe der Beiträge Schauspieler(innen)- und Regie-Legenden des Exploitationfilms einzuladen und diese mit einer entsprechenden Veranstaltung zu würdigen. Nur dank der kontinuierlichen Unterstützung unserer Mitglieder konnten wir mit Paul Naschy bereits den dritten Star-Gast im Club begrüßen. Weitere werden folgen ...
Dies alles und noch viel mehr erleben Sie nur im
GEHEIMNISVOLLEn FILMCLUB BUIO OMEGA,
dem einzigen Ort, wo der Mond immer voll ist!
© by
INGOJIRA (Naschy-Lebenslauf)
& SAILOR
RIPLEY (Ergänzung zum Naschy-Event)
EMPFEHLENSWERTE PAUL NASCHY-LINKS:
Für die Inhalte der nachstehenden Seiten sind die jeweiligen Betreiber verantwortlich.
Weiterhin empfehlen
wir die spannende Lektüre von Paul Naschys Autobiografie
"Memoirs of a Wolfman"
(Midnight Marquee Press, USA, 2000).
Die auf dieser Domain veröffentlichten Filmbesprechungen haben rein filmjournalistischen Charakter. Das verwendete Bildmaterial dient nicht zu Werbezwecken, sondern ausschließlich zur filmhistorischen Dokumentation. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Das Copyright liegt bei den Autoren.