RABID - DER BRÜLLENDE TOD
DER ÜBERFALL DER TEUFLISCHEN BESTIEN (Titel der Wiederaufführung)

Originaltitel RABID
Alternativtitel RAGE (Quebec [Kanada]/Frankreich)
RABIA (Spanien)
   
Land und Jahr Kanada 1976
   
Regie David Cronenberg
Produktionsfirma Cinema Entertainment Enterprises (für DAL Productions Ltd.), mit Beteiligung der CFDC, PA
Produktion John Dunning
Ausführende Produzenten André Link & Ivan Reitman
Drehbuch David Cronenberg
Kamera René Verzier
Schnitt Jean Lafleur
Ton Richard Lightstone
Musik Ivan Reitman
Ausstattung Claude Marchand
Kostüme Erla Gliserman
Special Effects Joe Blasco Makeup Associates
   
Darsteller Marilyn Chambers(Rose), Frank Moore (Hart Read), Joe Silver (Murray Cypher), Howard Ryshpan (Dr. Dan Keloid), Patricia Gage (Dr. Roxanne Keloid), Susan Roman (Mindy Kent), J. Roger Periard (Lloyd Walsh), Lynne Deragon (Krankenschwester Louise), Terry Schonblum (Judy Glasberg), Victor Désy (Claude LaPointe), Julie Anna (Krankenschwester Rita), Gary McKeehan (Smooth Eddy), Terence G. Ross (Farmer), Miguel Eernandes (Mann im Kino), Robert D'Ree (Polizei Sergeant), Greg van Riel (junger Mann im Plaza), Jerome Tiberghien (Dr. Karl), Allan Moyle (junger Mann in der Lobby), Richard W. Farrell, Jeannette Casenave, Carl Wasserman, John Hoylan, Malcolm Nelthorpe, Vlasta Vrana u. a.
   
deutsche Erstaufführung 24.06.1977
Verleih Gloria (für Residenz)
Format 1:1,85
Laufzeit

91 Minuten (deutsche Kino-Version); Originallänge: 91 Minuten

Home-Entertainment Video:
EuroVideo (als DER ÜBERFALL ...);
IMV (als DER ÜBERFALL ...);
VMP (als DER ÜBERFALL ...);
JPV Austria (Bootleg; als RABID - DER BRÜLLENDE TOD);
Arrow/First Class, Großbritannien (als RABID);
Video Gems, Großbritannien (als RABID);
Four Front Video, Großbritannien (als RABID);
Warner Home Video, USA (als RABID);
New Horizons Home Video, USA (als RABID);
Video Screen, Niederlande (als RABID).
DVD:
Splendid (als RABID);
Metrodome Distribution Ltd., Großbritannien (als RABID);
New Horizons Home Video, USA (als RABID);
Bridge Pictures, Niederlande (als RABID).
Super-8:
Major 8 Movies, USA (als RABID).

 

Wohl kaum ein Filmemacher weist eine solche Kontinuität in seinem Schaffen auf wie David Cronenberg. Schon in den ersten mittellangen Experimentalfilmen STEREO (1969) und CRIMES OF THE FUTURE (1970) wird der Zuschauer mit der Welt des Kanadiers bekannt gemacht, die mit sehr nüchternen und präzisen Bildern von der Denaturierung des Menschen berichtet sowie dem Widerstreit zwischen Körper und Seele. Die Themen der frühen Arbeiten kehren in Cronenbergs Hauptwerk immer wieder, selbst in den Produktionen, zu denen der außergewöhnliche Regisseur kein eigenverfasstes Drehbuch beisteuerte, wie etwa THE DEAD ZONE (1983) oder THE FLY (1986). Stets sind es Protagonisten, die fremd in der Gesellschaft und fremd in ihrem eigenen Körper scheinen.

Wie man sich als Zuschauer in jeden dieser Filme "hineinschnüffeln" muss, um den Eindruck der Fremdheit zu überwinden, so stehen auch Cronenbergs Figuren vor der Option, sich entweder ihrer Umwelt anzunähern oder aber ignorant vor derselben zu verschließen. Für den Betrachter bedeutet das meist, auf gewohnte narrative Konventionen zu verzichten und eher den eigenen Sinnen zu vertrauen, denn nur dergestalt ist das Einfühlen in das Cronenbergsche Fremde überhaupt erst realisierbar. Wenngleich Cronenberg kontinuierlich Puzzlestücke positioniert, welche die Möglichkeit der rationalen Zusammenfügung bergen, erschließen sich seine Werke doch in erster Linie als sinnliche Erlebnisse. Wem Lynchs ERASERHEAD schon vor unlösbare Probleme stellte, wird somit ebenfalls im Cronenberg-Universum große Schwierigkeiten haben.

Wie bereits sein Spielfilm-Debüt SHIVERS (aka THEY CAME FROM WITHIN aka THE PARASITE MURDERS aka PARASITEN-MÖRDER; 1975), das die Kulisse eines grundsätzlich konventionellen Monsterspektakels zu einem Panoptikum der entfesselten Körperlichkeit umgestaltete, benutzt auch Cronenbergs zweiter Film, RABID (1976), eine simple Horror-Story als Aufhänger für die Schilderung absoluter Zwanglosigkeit:

Das junge Pärchen Rose und Hart ist mit dem Motorrad unterwegs. Ein liegengebliebenes Auto verursacht einen Unfall, bei dem Rose fürchterliche Entstellungen erleidet. In der Nähe des Unglücksortes liegt das Institut des Arztes Dan Keloid, der nach neuen Methoden der Hauttransplantation forscht. Da Rose einen Transport nicht überleben würde, beschließt Keloid, sein frischentwickeltes "neutralisiertes Gewebe" an der jungen Frau zu testen.

Doch wie so häufig in Geschichten dieser Art schlägt das Experiment auf grauenhafte Weise fehl: Rose ist zu einem Vampir geworden. Ihr Körper hat gegen das neue Gewebe revoltiert und einen Stachel entstehen lassen, mit dem sie nun einigen unglücklichen Zeitgenossen das Blut aussaugt. Dabei überträgt Rose unwissend ein bei der Transformation entstandenes Tollwutvirus, und schon bald herrscht in Montreal Kriegszustand: Allerorts fallen Menschen übereinander her, besessen von mörderischem Blutdurst.

In den Händen eines weniger talentierten Regisseurs hätte die abstruse Prämisse (Frau wächst Vampirstachel in der Achselhöhle!) keine Chance gehabt. Da Cronenberg aber weniger an einer suspenseorientierten Horror-Story gelegen ist als an der Darstellung totaler Anarchie, geht die Rechnung auf: Die vorher völlig normalen Fesseln, welche die Zivilisation den Menschen auferlegt hat, werden abgestreift, und ab geht die Fahrt durch die "schöne" neue Welt.

War das in SHIVERS noch von vielen komödiantischen Beigaben gesäumt, so schlägt RABID einen wesentlich beklemmenderen und konsequenteren Pfad ein. Im Unterschied zum Erstling erlaubt sich RABID außerdem den "Luxus" eines individuellen menschlichen Schicksals: Das Zusammenbrechen der Zweier-Beziehung von Rose und Hart ist der tragische Kontrapunkt zu der um sie herum auseinanderbrechenden Gesellschaft. Auch weisen manche Elemente bereits auf Cronenbergs ultimativen Familien-Horrorfilm THE BROOD (1979) hin, etwa jene Szene, in der Harts Kumpel, der nette Arzt Joe Silver, nach Hause zu seinen Liebsten kommt - die Familie ist nicht mehr!

Cronenberg zählte schon immer zu einem der herausragenden Schauspieler-Regisseure, welcher selbst aus Genies wie Christopher Walken (THE DEAD ZONE) oder Jeremy Irons (DEAD RINGERS aka DIE UNZERTRENNLICHEN; 1988) ungewöhnlich intensive Leistungen herauskitzelte. Für die Rolle der Rose leistete er sich einen ebenso kassenträchtigen wie sinnstiftenden Coup und verpflichtete Marilyn Chambers. Anfang der 70er-Jahre als Seifenflocken-Werbeträgerin "Ivory Snow Girl" in den USA zum Sinnbild für die heile Familie stilisiert, geriet Chambers im Anschluss an die berüchtigten Mitchell Brothers, die sie zur Porno-Queen aufbauten. Ihr BEHIND THE GREEN DOOR (1972) war für die amerikanische Westküste etwa das, was DEEP THROAT für die Ostküste darstellte. Auch ihr zweiter Porno, THE RESURRECTION OF EVE (1973), geriet zum großen Erfolg.

Besagter RESSURECTION erzählt von einer jungen Frau, die bei einem Autounfall fürchterliche Verletzungen erleidet und nur durch eine Totaloperation wiederhergestellt werden kann. Mit einem neuen Gesicht hat sie nun Gelegenheit, ihre vormals gelebte verklemmte Existenz hinter sich zu lassen. Aus dem einstmals befangenen Mauerblümchen entsteht ein wahrhaft sexuellen Wesen. Diese als sexuelles Utopia gezeichnete Welt ist bei Cronenberg selbstredend eine sehr viel kompliziertere Angelegenheit, denn die Fesseln lassen sich nicht so ohne weiteres abstreifen: Die angestauten Aggressionen werden freigesetzt - die Gesellschaft läuft Amok!

Frau Chambers ist wirklich gut in der Rolle ihres Lebens, wobei sie selbst einige sehr schwierige Szenen (besonders in der zweiten Hälfte des Films) mit Bravour bewältigt. Neben ihr spielt der ansonsten eher unbekannte Frank Moore, der aussieht wie eine Mischung aus Christopher Walken und Martin Sheen. In Nebenrollen findet man zahlreiche Weggefährten aus früheren Cronenberg-Filmen, etwa den schon erwähnten Joe Silver, Ron Mlodzik oder Robert Silverman. Letztgenannter agierte z. B. als Krebspatient in THE BROOD, als Künstler Ben Pierce in SCANNERS (1980), und war sogar im zehnten FREITAG-Schocker JASON X - in dem Cronenberg einen Gastauftritt hatte - mit von der Partie.

Der Akt des Vampirismus erscheint bei Cronenberg als eine grundsätzlich höchst sinnliche Angelegenheit: Aufgrund der etwas unorthodoxen Positionierung des Stachels in der Achselhöhle, muss Rose ihre Opfer umarmen, und diese Pervertierung von Zärtlichkeit wird von ihr mit einem Streicheln unterstrichen, das mitnichten ironisch ist - Sie weiß gar nicht um die Tragweite ihrer Handlung. Erst später erkennt Rose, dass die (relativ harmlosen) Bluttransfusionen für das sie umgebende Chaos verantwortlich sind.

Der Stachel ist auch so eine Sache: Eingebettet in einer vaginalförmigen Öffnung, springt dieser bei Reizung heraus. In einer Szene stimuliert Dr. Keloid die Region mit seinem Finger und zahlt prompt die Zeche dafür. Vagina und Penis kombiniert in der Achselhöhle - ein echter Cronenberg! (Man erinnere sich ebenfalls an James Woods Bauch-Vagina in VIDEODROME [1982], in die er seine eigene Handfeuerwaffe hineinsteckt ...)

In der Frühzeit der Cronenberg-Rezeption wurde (besonders von seinen Gegnern) viel darüber spekuliert, ob die Filme die eigene Angst des Regisseurs vor Sexualität versinnbildlichen. Über diese These kann man sicherlich streiten, aber in jedem Fall zeigen Cronenbergs Werke eine grundlegende Entfremdung des Menschen von seinem Körper. Wie immer, wenn die Natur des Menschen verdrängt wird, entwickelt sie sich in einem stillen Kämmerlein zu etwas ganz anderem, und je gewaltiger die verdrängte Kraft ist, umso aggressiver und zerstörerischer bahnt sie sich ihren Weg nach außen.

Spätere Cronenberg-Filme verdeutlichen, dass die Erkenntnis um das "Neue Fleisch" nicht unbedingt eine furchteinflößende Erfahrung sein muss. (Ist das Finale von VIDEODROME etwa ein Happy End oder die Vernichtung des Protagonisten? You decide ...) Alles Neue, Unvertraute birgt immer viel Furcht, die es erst zu überwinden gilt, damit ein neues Gleichgewicht erreicht werden kann. Diesen Kampf zwischen widerstreitenden Kräften fängt Cronenberg ein ums andere Mal in faszinierenden Bildern ein, und auch wenn RABID ein Frühwerk ist, so stellt es doch einen logischen paranoiden Ausgangspunkt für die Reise durch das Cronenberg-Universum dar. Buchen Sie noch heute Ihre Reise nach Bad Cronenberg - Sie werden ein ganz neuer Mensch sein!

© by CHRISTIAN KESSLER

 

 

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